Musizieren fast wie bei Salomo
Ein Oratorium ist ja per se eine ziemlich konzertante Angelegenheit – von semioriginellen Versuchen, etwa einen „Messias“ auf die Bühne zu bringen, einmal abgesehen.
Und doch kann es gelingen, dass sich in der vermeintlich sterilen Frontalaufstellung eine vitalitätssatte Dramatik entwickelt, die an Authentizität einer szenischen Darstellung mitunter sogar überlegen sein kann. So geschehen am Mittwoch im Theater an der Wien im zweiten Akt von Händels „Solomon“: Vor der handlungsresistenten Statik der Eckakte sticht das berühmte Urteil des Königs, der einen von zwei Frauen reklamierten Säugling vorgeblich zweiteilen will, sowieso hervor, die Solisten aber machten ein veritables Minidrama daraus.
Da war zuvorderst Franco Fagioli. Dass er zu den spannendsten Countertenören der jungen Generation zählt, zeigt sich gerade auch, wenn er nicht Gelegenheit hat, seine brillante Technik mit Bravour-Arien unter Beweis zu stellen. Es ist vor allem die Intensität und Dichte dieser Stimme, die fesselt.
Da war aber vor allem auch die junge Österreicherin Agnes Scheibelreiter in der Rolle der rechtmäßigen Mutter: Mit ihrem klaren Sopran sang sie den Part mit einer Wahrhaftigkeit, die unter die Haut ging. Scheinbar mit letzter Kraft brachte sie ihr „Nur schont mein Kind“ über die Lippen – die stimmliche Verkörperung jener Frau auf Tiepolos berühmtem Fresko in Udine. Ihre ruchlose Gegenspielerin stattete Ida Aldrian mit angemessen aggressivem Mezzo aus, James Oxley komplettierte die Szene mit seinem sicher geführten Tenor, aber leider etwas verschliffenen Koloraturen. Günter Haumer nutzte seine Auftritte, um seinen noblen Bariton ins rechte Licht zu rücken, während Bernarda Bobro als Salomos Gemahlin bzw. Königin von Saba erst gegen Ende fühlbar frei sang. Zum Glück hatte sie in Fagioli einen sensiblen Partner, der sich ihrem schlanken Sopran gegenüber in den Duetten zurücknahm.
Dass Matthew Halls am Pult der Wiener Akademie und des mit Verve agierenden Chorus sine nomine kurzfristig eingesprungen ist, muss einem erst gesagt werden: Da gab es schon weit weniger homogene Produktionen. Und nachdem man im ersten Akt die Glut, von der der Priesterchor sang, noch suchte, und manches etwas brav geriet, war ab Akt zwei lebendiges, affektgetränktes Musizieren angesagt. Fast wie am Hof Salomos.