Klänge jenseits aller gängigen Vorstellungen
Der „Chorus sine nomine“ beweist, wie gut Brahms-Motetten und Gospels harmonieren.
Noch niemals in der 25-jährigen Geschichte der Chor- und Orgeltage wurde ein Chor dreimal eingeladen. Der Wiener „Chorus sine nomine“ („Chor ohne Namen“), mit dem man seit seinen großartigen Auftritten 2003 und 2005 freundschaftlich verbunden ist, revanchierte sich für diese Ehre am Sonntag vor einer gewaltigen und begeisterten Zuhörerkulisse in der Kirche St. Karl mit einem Konzert, das neben höchster Qualität auch enormen Mut in der Programmgestaltung zeigte.
Das muss sich erst einmal jemand trauen, zwei so gegensätzliche Elemente wie Brahms-Motetten und afro-amerikanische Gospels miteinander zu verflechten wie Johannes Hiemetsberger, der den heutigen Spitzenchor vor 25 Jahren gründete. Doch eigentlich wurde damit nur das Konzept des Vorabends fortgesetzt, der Dialog zwischen christlicher und jüdischer Kultur. Hier ist der Text das verbindende Element. Bibelstellen, die in Brahms‘ Vertonungen eine starke spirituelle Überhöhung erfahren, finden ihre Entsprechung in den Spirituals als tief religiöse Hilferufe der geknechteten Sklaven im alten Amerika. Und da ist dann kein großer Unterschied mehr zwischen „O Heiland, reiß die Himmel auf“ und „Nobody knows the trouble I’ve seen“.
Mitsingen und mitswingen
Überflüssig zu erwähnen, dass sich die Umsetzung dieser Idee auf einem Niveau, in einer Klangkultur bewegt, die weit jenseits aller gängigen Vorstellungen eines gepflegten Chorgesanges liegen. Unglaublich die Geschlossenheit und Präzision des Chorklanges, aus dem keine der knapp 50 vorwiegend jungen Stimmen heraussticht. Ihre Treffsicherheit und Reinheit sind unbegreiflich, bei der religiös verbrämten Harmonik eines Brahms ebenso wie in den klangvollen Spiritual-Arrangements mit ihren jazzigen „close harmonies“. Es sind aber auch Kraft, Ausdrucksfähigkeit und Dynamik, die bei diesem Ensemble, seinen qualifizierten Solostimmen und seinem charismatischen Leiter begeistern, ebenso die lässige Eleganz, mit der die Akteure sich während des Singens bewegen. Für aufregende Momente sorgt als „special guest“ die aus Ruanda stammende, hinreißend präsente junge Gospelsängerin und Schauspielerin Marie-Christiane Nishimwe, die mit stimmlicher Urgewalt die Zuhörer in ihren Bann schlägt und zum Mitsingen und Mitswingen animiert.