Die Welt – Klang & Energie
Geistliche Chormusik von Jakobus Gallus, Giuseppe Verdi, Vytautas Miskinis, Samuel Barber und J. Peter Koene schwebte über St. Paul
Am Anfang war das Wort, und das Wort ist Klang und Energie. Nicht nur die Erschaffung der Welt kann man so erklären – auch die Faszination der Musik besteht darin, dass vom Klang eine große Wirkung ausgeht. Sehen Sie nur einmal in die Gesichter von Menschen, die gerade ein Konzert verlassen!
Solche Gedanken drängen sich auf, wenn man – wie am vergangenen Freitag – in einem Konzert des St. Pauler Kultursommers sitzt und einer der renommiertesten Chöre Europas, der Chorus sine nomine aus Wien unter der Leitung von Prof. Johannes Hiemetsberger, in der Stiftskirche die ‚Macht des Himmels‘ erahnen lässt. In einem 80-minütigen Gesamtkunstwerk wurde geistliche Musik aus fünf Jahrhunderten mit Live-Elektronik, die Zitate aus dem Gesang verarbeitete, nahtlos verbunden und Stilgrenzen wunderbar aufgehoben. Tiefen Eindruck hinterließ vor allem ein von J. P. Koene vertonter Text aus der Apokalypse über das Weltgericht (‚… und zu verderben die, die die Erde verderbet haben‘) für Solobratsche (Julia Purgina), Chor und Live-Elektronik – ein Aufschrei über die Ungerechtigkeit. Die Aufstellung der Sängerinnen in venezianischer Coro-spezzato-Tradition mit Stereo-Wirkung und der Klang aus den im Raum verteilten Lautsprechern erzeugten das Gefühl, mitten im Energiefeld des Klangs zu sitzen. Hiemetsberger hat hier mit dem Tontechniker, Komponisten und Jazzmusiker Stefan Foidl ein Konzept eines Gesamtkunstwerkes umgesetzt, das in seiner Wirkung einzigartig ist.
So, wie die Akteure in ihrem Einzug den Raum klanglich und physisch erschlossen, wurde dieser auch wieder verlassen – und trotzdem war er danach nicht leer. Man schwebte noch immer zwischen Erde und Himmel. Ergriffenes Schweigen wäre die adäquatere Reaktion gewesen als Standing Ovations.