Besonnener Triumph mit Händel
LAZLO MOLNAR
Musikalische Weihnachtsaison in München eröffnet: Im Prinzregententheater erklang Händels „Messias“ mit der „Wiener Akademie“ unter der Leitung von Martin Haselböck
Keine Frage, Georg Friedrich Händel hatte sein Oratorium „Messiah“ 1741 geschrieben, um damit Erfolg beim Publikum zu erlangen. Das ist ihm rundum gelungen, der Erfolg und die Bewunderung dafür halten an bis zum heutigen Tag. Die Aufführung des Messias im Prinzregententheater mit dem „Chorus sine nomine„, der „Wiener Akademie“ und den Solisten Anna Prohaska, Robin Blaze, Tilman Lichdi und José Antonio López unter der Leitung von Martin Haselböck verschaffte ihm einen weiteren Triumph.
Drei Stunden und kein bisschen müde: das galt fürs Publikum, das der Aufführung mit konzentrierter Ruhe folgte und offenbar auch für die Musiker, die zum Ende hin noch alle Reserven hatten, um die Schlusschöre des Messias, „Worthy ist the lamb“ und die großartige „Amen“-Fuge, mit Präzision und imposanter Wucht in den Raum zu werfen. Ein grandioser Schluss einer rundum stimmigen, künstlerisch schlüssig durchgestalteten Aufführung auf höchstem Originalklang-Niveau. Unter den Solisten war Robin Blaze leider hinter den Erwartungen zurückgeblieben, aber es war sofort zu erkennen, dass er tapfer gegen eine Grippe ankämpfte und den Spagat versuchte, seine Stimme zu schonen und sie zugleich so schön wie möglich zu führen.
Wien ist nicht nur eine Stadt der Opern und der Wiener Philharmoniker, sie ist auch eine Stadt des Originalklangs. Neben den präsenten und publikumswirksamen Auftritten des „Concentus Musicus“ unter dem charismatischen Nikolaus Harnoncourt nahm sich die 1985 gegründete „Wiener Akademie“ stets etwas bescheidener aus. Aber ihr Gründer Martin Haselböck, Sohn des angesehenen Organisten Hans Haselböck und ursprünglich selbst Organist, ließ nicht locker, präsentierte seine Versionen des bekannten und weniger bekannten Barock-Repertoires und wurde zum festen Bestandteil der Wiener Konzertszene. Einer Szene, die zudem mehrere hervorragende Chöre bereit hält, unter denen sich der „Chorus sine nomine“ von Johannes Hiemetsberger, einem Schüler der großen Wiener Chorpädagogen und –Leiter Erwin Ortner und Johannes Prinz, seit seiner Gründung 1991 als virtuoses Kammerensemble hervorgetan hat.
An dieser Kontinuität und Intensität der künstlerischen Zusammenarbeit, der Qualität der Musikerinnen und Musiker und an deren Übereinstimmung liegt es, dass der „Messias“ unter Haselböck ein derart eigene Kontur und eine solch spezifische Stimmung erhielt. In Wien musiziert man, auch dank der raffinierten und exquisiten Akustik des Großen Saals des Musikvereins, gerne leiser, innerlicher, individueller. Man akzeptiert gerne die „eigenen Töne“ profilierter Künstler, und das gilt für Solisten ebenso wie für Ensembles. Der „Chorus sine nomine“ klingt weich, die Spitzentöne haben einen samtigen, manchmal melancholischen Glanz, die Stimmen mischen sich (wofür auch die gemischte Aufstellung sorgte), so dass keine der Stimmgruppen hervorsticht, wie das auch englische Chöre gerne kultivieren. Das Englisch der Choristen, übrigens, war ausgezeichnet. Das Orchester hingegen bleibt als eine Versammlung von Individuen vernehmbar, da entsteht kein festgelegter Standard-Klang, sondern etwas Pulsierendes, Changierendes, das sich der Stücks anschmiegt. Das ergibt eine solche Vielfalt der Klang-Wirkungen, dass man beim Hinschauen immer wieder überrascht war, mit wie wenigen Klang-Gruppen Händel für die faszinierende Wirkung des „Messias“ auskam: Streicher, zwei Oboen, Fagott, zwei Trompeten, Pauken, Continuo, that’s it.
Für die Wirkung seiner Aufführung hat sich Haselböck ganz auf diese innermusikalischen Kräfte konzentriert. Statt lauten Gepränges und schneidiger Tempi setzt er auf die Mischung der feinen Töne und auf Sorgfalt in der Artikulation. Wirklich bewundernswert, mit welcher Konzentriertheit und Spannung alle Musikerinnen und Musiker dies bis zum Ende bereit hielten und jede der 48 Nummern mit frischem, eigenem Leben erfüllt waren. Wie professionell das ist, welch harte Arbeit dahinter steckt, dessen wird man sich als Zuhörer nicht unbedingt bewußt.
Dass im Solistenquartett mit Prohaska und López zwei Opernstimmen dabei waren, bedeutete keinen Bruch im klanglichen Charakter. Junge Opernsänger wissen heute bestens mit der historisch informierten Aufführungsweise umzugehen und bereichern das Genre mit edlem Klang und faszinierender Artikulation. Da bekommt man eine Vorstellung, für welche Art Sänger Händel seine Koloraturen und Intervallsprünge geschrieben hat. Der deutsche Tenor Tilman Lichdi hat eine schöne Stimme, die sich vorläufig im Oratorium am wohlsten fühlen wird. Schade, dass Robin Blaze nicht in Form war, sein Altus ist für dieses Fach derzeit einer der ausdrucksstärksten und wohlklingendsten.
Immer ist die Rede davon, dass es sich bei der Adventszeit, die nun gerade beginnt, um eine besinnliche Zeit handelt. Diese Aufführung des „Messias“ – sie war am Samstag in Wien zu hören und reist Anfang der Woche nach Spanien – war mit ihrer besonnen, konzentrierten Art genau der richtige Auftakt dazu.