Bach und Moderne
Das Etikett täuscht. Der „Chorus sine nomine“ hat sehr wohl einen Namen. Wahrscheinlich ist er derzeit der beste österreichische A-cappella-Chor überhaupt. Am Mittwoch (8.10.) sang er in der Stiftskirche St. Peter Musik von und über Bach.
Viele Komponisten haben Bach ihre Reverenz erwiesen, und so halten es auch Schreiber zeitgenössischer Chorwerke. Offenbar wird man in Nordeuropa besonders oft fündig. Knut Nystedt, ein Norweger, hat für sein Stück „Immortal Bach“ den Choral „Komm süßer Tod“ hergenommen. Die Akkorde des Choralsatzes werden lange ausgehalten, in vierchöriger Technik harmonisch verdichtet und wieder ausgedünnt. Das wirkt unglaublich intensiv. Auch Sven David Sandström, ein Schwede, baut auf sechzehn Chorstimmen, um eine Barockmelodie (wenn schon nicht von Bach, so doch von Buxtehude) auszureizen und mit einem schwedischen Volkslied zu kreuzen. Wolfgang Sausengs „Psalm 131“ nimmt zwar nicht dezidiert auf Bach oder den Barock Bezug. Aber in diesem Stück sind Melos und Textdeklamation perfekt aufeinander abgestimmt. Da darf man durchaus an Bach als geheimen Lehrmeister denken.
Schade eigentlich, dass Johannes Hiemetsberger und der „Chorus sine nomine“ an diesem Abend nicht eine ihrer Bravournummern haben hören lassen, Dieter Schnebels zwanzigstimmigen „Contrapunctus“. Das wäre die Krönung dieses Konzerts und eine ganz spezielle Bach-Abrundung gewesen.
Aber wir wollen nicht unbescheiden sein: György Ligetis „Lux aeterna“ ist ein Klassiker zeitgenössischer Chormusik und erklang in beispielhafter Wiedergabe. Der „Chorus sine nomine““ hat dieses Stück mit schon Angst machender Intonationsgenauigkeit drauf. Da beginnen die Cluster in der tiefen Region Eigenleben zu entwickeln, die Schwebungen lassen imaginäre Raumklänge entstehen. So etwas gelingt nur, wenn keine einzige der sechzehn Stimmen ausweicht, wenn das Zusammenklingen auf mikrotonale Bruchteile hin ausgetüftelt ist.
Natürlich haben Hiemetsberger und sein Chor auch in Sachen Bach viel zu erzählen: Eingangs in der Motette „Jesu meine Freude“, wo zum Beispiel die fünfstimmige Fuge „Ihr aber seid nicht fleischlich sondern geistlich“ tatsächlich ohne jede erdgebundene Schwere dahergekommen ist und das „Gute Nacht mein Leben“ zu einem Weltabschied in grenzenlosem Optimismus wurde. Und a propos Fuge: Jene aus der Motette „Singet dem Herrn“ („Alles was Odem hat …“) war ein Modellbeispiel an plastischer Durchformung. Da hat man wirklich jede Stimme gehört, jeden Einsatz und jede Stimmkreuzung. Und das trot der heiklen Akustik.
Eigenwillige Stücke sind die Kompositionen von dem 1944 geborenen John Taverner, einem der quicklebendigen Chor-Schuzheiligen Englands: Diese Kombination aus an Benjamin Britten orientierter sinnlicher Harmonik und ostkirchlicher Schwermut ist grenzwertig: Kitsch, ja freilich, geradezu unanständig wirkungsvoll! Aber wenn man das so singt (im Stück „Svyati“ sogar zum saufalsch intonierenden Solo-Cello), wird auch diese Musik geadelt.